Déjà-vu?

Nein, Jamais-vu!

Hatten Sie auch schon das Gefühl, eine Situation bereits erlebt zu haben? Dieses seltsame Phänomen nennt sichDéjà-vu und ist vielen von uns vertraut. Was jedoch weitgehend unbekannt ist, ist das sogenannte Jamais-vu – französisch für ‘nie gesehen’. Dieses Phänomen beschreibt das Gefühl, dass uns vertraute Dinge plötzlich fremd, sinnlos und unwirklich erscheinen.

Jamais-vu kann sich auf verschiedene Arten in unserem Alltag manifestieren. Es kann passieren, wenn wir ein vertrautes Gesicht ansehen und plötzlich das Gefühl haben, es sei fremd. Auch Musikerinnen und Musiker haben schon davon berichtet, wie sie sich in eigentlich vertrauten Liedpassagen verloren haben. Vielleicht ist es auch Ihnen schon einmal passiert, dass Sie ein Wort so oft wiederholt haben, dass es plötzlich seinen Sinn verlor und sich merkwürdig anfühlte.

Eine Studie in der Fachzeitschrift «Memory» hat sich dem Phänomen Jamais-vu gewidmet. Die Forscherinnen und Forscher untersuchten mittels zwei einfach aufgebauter Experimente, wie die wiederholte Exposition mit Worten deren Wahrnehmung beeinflusst.

Im ersten Experiment wurden 94 Studierende gebeten, wiederholt das gleiche Wort aufzuschreiben. Vordergründig wurde ihnen der Versuch als Wortschreibexperiment beschrieben, das zum Ziel habe, herauszufinden, wie oft man ein Wort in zwei Minuten lesbar schreiben kann. Dazu erhielten die Studierenden eine Liste mit zwölf verschiedenen Wörtern, die von alltäglichen Wörtern wie «door» (englisch für ‘Tür’) bis hin zu weniger geläufigen Begriffen wie «ague» (englisch für ‘Schüttelfrost’) reichten. Die Teilnehmenden sollten dann das jeweilige Wort so schnell wie möglich abschreiben und erst dann aufhören, wenn sie sich entweder seltsam fühlten, ihnen langweilig wurde oder ihnen die Hand schmerzte. Tatsächlich hörten die meisten Befragten dann auf zu schreiben, wenn sie sich merkwürdig fühlten. So stoppten ganze 70 % der Studierenden mindestes einmal, weil sie ein Jamais-vu verspürten. Interessanterweise geschah dies in der Regel öfter bei bekannten Wörtern und tauchte meist nach etwa einer Minute, oder durchschnittlich 33 Wiederholungen, auf.

Aufgrund der hohen Häufigkeit des Wortes «the» (englisch für ‘der’/‘die’/‘das’) in der englischen Sprache, verwendeten die Forschenden in einem zweiten Experiment nur noch den Artikel. Bei diesem Versuch hörten 55 % der Teilnehmenden auf zu schreiben, weil sie bereits nach durchschnittlich 27 Wiederholungen ein Gefühl von Jamais-vu überkam. Dabei reichten die beschriebenen Erfahrungen von: «Das Wort verliert seine Bedeutung, je länger man es ansieht», bis hin zu: «Es scheint mir so, als wäre dies kein richtiges Wort, aber jemand hat mir vorgegaukelt, dass es eines wäre».

Die Forschenden schliessen aus ihrer Arbeit, dass das Phänomen Jamais-vu ein Signal dafür sein könnte, dass etwas zu automatisch und repetitiv geworden ist. Es sei eine Art Realitätsprüfung, die uns helfen soll, aus einer automatisierten Handlung auszubrechen. Durch diesen intuitiven Mechanismus sollen unsere kognitiven Systeme flexibel bleiben, damit wir unsere Aufmerksamkeit dorthin lenken können, wo sie gebraucht wird, und uns nicht zu lange in sich wiederholenden Aufgaben verlieren. Die Forschenden sind überzeugt, dass Erkenntnisse zu Jamais-vu dabei helfen könnten, Zwangsstörungen besser zu verstehen und zu behandeln.

Jamais-vu ist ein interessantes Phänomen, das uns wie sein Gegenspieler Déjà-vu daran erinnert, wie flexibel und anpassungsfähig unser Gehirn ist. Es zeigt, wie eng unsere Wahrnehmung von der Art und Weise abhängt, wie wir die Welt um uns herum interpretieren. In einer Welt von stetigen Veränderungen ist es wichtig, die Komplexität unserer eigenen Wahrnehmung zu verstehen. Wenn Ihnen also das nächste Mal ein bekanntes Wort seltsam vorkommt oder Sie sich in einer vertrauten Situation verloren fühlen, denken Sie daran: Es könnte einfach nur Ihr Gehirn sein, dass Sie zurück in die Realität holen will.

 

Quelle:

Moulin CJA, Bell N, Turunen M, Baharin A, O'Connor AR. The the the the induction of jamais vu in the laboratory: word alienation and semantic satiation. Memory. 2021 Aug;29(7):933-942. doi: 10.1080/09658211.2020.1727519. Epub 2020 Feb 20. PMID: 32079491.

https://theconversation.com/jamais-vu-the-science-behind-eerie-opposite-of-deja-vu-213596